Schulter Instabilität

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Warum ist die Schulter von Schulterinstabilität häufig betroffen? 

Das Schultergelenk ist das beweglichste Gelenk des menschlichen Körpers. Die knöcherne flache Pfanne, das Glenoid, ist im Verhältnis zum knöchernen Kopf, dem Humeruskopf, etwa viermal kleiner, was zu einem deutlichen Missverhältnis führt. Die Natur hat versucht, dieses Missverhältnis durch die Gelenklippe (Labrum) auszugleichen, indem das Glenoid 360° von dieser umgeben ist, um die Gelenkfläche zu vergrößern. Zusätzlich ist an der Gelenklippe die Kapsel befestigt, die aus Kollagenproteinen besteht und Halt geben soll, um Instabilität zu verhindern. Diese Kapsel wird vorn von drei Bändern verstärkt, während sich hinten im unteren Bereich ebenfalls eine Verstärkung findet. Aufgrund der geringen knöchernen Führung ist das Schultergelenk jedoch besonders anfällig für Instabilitäten, insbesondere bei starker Krafteinwirkung, wie etwa durch einen Unfall, bei angeborenen Gewebsschwächen oder Abweichungen der natürlichen Kollagenstabilität. 

Wie unterscheidet man die Schulterinstabilität? 

Man unterscheidet grundsätzlich zwischen einer traumatischen und einer atraumatischen Schulterinstabilität. 

Traumatische Schulterinstabilität: 
  • Vordere traumatische Instabilität: Diese tritt typischerweise durch einen Unfall, wie einen Sturz, auf, der zu einer Ausrenkung (Luxation) der Schulter führt. Dabei kommt es zu typischen Verletzungsmustern am vorderen unteren Schultergelenksrand, was einem Abriss der Gelenklippe (Labrum) entspricht. Diese Verletzung wird als Bankart-Läsion bezeichnet. Korrespondierend dazu findet sich im oberen hinteren Anteil des Humeruskopfes eine Eindellung, die durch das Anprallen des Kopfes am Pfannenrand entsteht. Diese Delle wird Hill-Sachs-Delle genannt. Diese Verletzungen treten sehr häufig bei traumatischen Luxationen auf, da die Schulter durch die starke Einwirkung der externen Kraft in die Richtung des geringsten Widerstands (anterior-inferior) gedrückt wird. 
  • Hintere traumatische Instabilität: Diese ist seltener und tritt typischerweise nach Starkstromunfällen oder epileptischen Anfällen auf. Hierbei führen die starken Muskelkontraktionen der großen Rumpfmuskeln, insbesondere des Musculus latissimus dorsi, zu einer hinteren Luxation des Humeruskopfes. 
Atraumatische oder angeborene Instabilität:

Diese Form der Instabilität entsteht aufgrund zu wenig straffer Bänder und Kapseln , die biologisch bedingt sind. Manche Menschen weisen eine erhöhte Laxizität des Kollagens auf, was zu einer unzureichenden Stabilität des Schultergelenks führt. Dies wird als angeborene Instabilität bezeichnet. Sie ist typischerweise bilateral (beidseitig) und betrifft nicht nur die Schultern, sondern auch andere Gelenke wie die Fingergelenke, das Ellbogengelenk, das Sprunggelenk oder das patellofemorale Gelenk (zwischen der Kniescheibe und dem Oberschenkelknochen). Charakteristisch für diese angeborene oder habituelle Instabilität ist, dass sie in alle Richtungen auftreten kann (anterior, posterior und inferior), was als multidirektionale Instabilität bezeichnet wird. 

Wie behandelt man die traumatische Schulterinstabilität?  

Kommt es zu einer Ausrenkung des Schultergelenks, ist es wichtig, dass das Gelenk wieder eingerenkt wird (reponiert wird). Dies kann außerhalb eines Krankenhauses von einer medizinisch geschulten Person einmalig versucht werden. Ist dies jedoch nicht möglich, sei es aufgrund zu starker Schmerzen oder des notwendigen Kraftaufwands, sollte kein weiterer Versuch unternommen werden. In solchen Fällen muss die Rettung/Notarzt gerufen werden, damit die Reposition im Krankenhaus durchgeführt werden kann. 

Besteht der Verdacht auf eine Fraktur, muss vor der Reposition eine radiologische Untersuchung erfolgen, um sicherzustellen, dass keine Fraktur vorliegt. Sollte eine Fraktur bestehen, ist es wichtig, dass die Möglichkeit einer operativen Versorgung gegeben ist, falls das Repositionsmanöver zu einer Verschiebung des Bruchs führt. 

Vor Reposition (Wiedereinrenkung) wir die Funktion des N. axillaris auf seine Funktion (Gefühl und Bewegung) geprüft, da sehr häufig dieser Nerv durch den Unfall selbst beeinträchtig oder beschädigt sein kann. Dies ist wichtig, dass dies untersucht und dokumentiert wird. 

Handelt es sich um eine einfache Ausrenkung (ohne Fraktur), wird das Gelenk nach der Reposition für sechs Wochen in einer Schlinge ruhiggestellt. Während dieser Zeit dürfen lediglich Pendelübungen durchgeführt werden, um die verletzten Kapselstrukturen und eventuell knöcherne Anteile stabil ausheilen zu lassen. 

Nach sechs Wochen kann mit einer freien Bewegungstherapie begonnen werden. Dabei sollten bestimmte Bewegungen, wie die Kombination aus Abspreizung und Außendrehung, bei einer vorderen unteren  (anteroinferioren) Luxation für insgesamt zwölf Wochen vermieden werden. Nach Ablauf der zwölf Wochen können sowohl die Beweglichkeit als auch die Belastung vollständig freigegeben werden. 

Es ist wichtig, dass Patienten wissen, dass sie durch die Ruhigstellung die Beweglichkeit etwas verlieren und das Gelenk etwas einsteift, was auch Sinn der Ruhigstellung ist, um so die Stabilität für die Heilung zu erhöhen. Diese Steifigkeit wird nach der Protektionsphase durch Bewegungstherapie über mehrere Wochen und Monate wieder aufgehoben werden. 

Um die Stabilität der Schulter zu überprüfen, sollte diese nach zwölf Wochen und nach 24 Wochen (einem halben Jahr) in die Luxationsrichtung getestet werden. Zeigt sich bei diesen Überprüfungen kein Instabilitätsgefühl und kommt es zu keiner erneuten Ausrenkung, ist in der Regel keine weitere Operation notwendig. 

Sollte jedoch während der Rehabilitationszeit oder bei den Stabilitätsprüfungen eine erneute Ausrenkung auftreten, oder der Patient weiterhin unter einem Instabilitätsgefühl leiden, könnte dies ein Grund für eine schulterstabilisierende Operation sein. 

Die Wahrscheinlichkeit für eine erneute Ausrenkung hängt stark vom Alter des Patienten zum Zeitpunkt der Erstluxation ab: 

  • Bei Patienten unter 20 Jahren tritt in rund 70 % der Fälle eine erneute Instabilität auf.
  • Bei Patienten über 20 Jahren liegt die Wahrscheinlichkeit für eine erneute Instabilität hingegen nur bei etwa 30 %.
Welche Operationen gibt es, um die traumatische Schulterinstabilität zu behandeln? 

Für die Behandlung der traumatischen Schulterinstabilität stehen verschiedene operative Verfahren zur Verfügung. Die zwei am häufigsten durchgeführten Eingriffe sind: 

  1. Latarjet-Operation
  2. Bankart-Operation


Latarjet-Operation 

Bei der Latarjet-Operation wird die knöcherne Pfanne (Glenoid) im Bereich der Instabilitätsregion – typischerweise unten vorne (anteroinferior) – durch ein benachbartes Knochenstück, das Coracoid, mechanisch vergrößert. Ziel ist es, eine erneute Ausrenkung des Schultergelenks in dieser Region zu verhindern.  

Ablauf der Operation: 

  • Das Coracoid wird als Knochenstück entnommen und an der anteroinferioren Glenoidregion mit 2 Schrauben befestigt.
  • Zwei Sehnen, die am Coracoid entspringen (kurzer Kopf des Bizepsmuskels und Musculus Coracobrachialis), sorgen zusätzlich für Stabilität.
  • Ein Band, das ebenfalls vom Coracoid entspringt (Ligamentum coracoacromiale), wird abgesetzt und an die Schultergelenkskapsel angenäht, was die Stabilität weiter erhöht.


Vorteile der offenen Latarjet-Operation: 

  • Diese Technik liefert im Vergleich zur Bankart-Operation deutlich höhere Stabilisierungsraten.
  • Die Wahrscheinlichkeit einer erneuten Instabilität (Rezidivrate) ist deutlich geringer.


Nachteil der Latarjet Operation:  
Grössere Narbe 
Potentiell schwere Komplikationen (Nervenschaden und Knochenblockausriss bzw. nicht Einheilen des Knochenblocks) 

Die Latarjet-Operation wird von mir bevorzugt, da  die offene Technik verlässlichere und reproduzierbare Stabilisierungsergebnisse bietet im Vergleich zur Bankartoperation. Die Operationszeit beträgt in der Regel etwa  60 Minuten, und die resultierende Narbe von etwa 5 cm ist erfahrungsgemäss für Patienten nicht störend. Bei weiblichen Patientinnen kann die Schnittführung so gewählt werden, dass die Narbe später durch den BH- oder Bikiniträger verdeckt wird. 

Bankart-Operation 

Die Bankart-Operation wird arthroskopisch durchgeführt und dient der Wiederherstellung der Stabilität durch die Reparatur der geschädigten Weichteilstrukturen. 

Ablauf der Operation: 

  • Der abgerissene Labrum-Kapsel-Anteil wird mittels Fadenankern wieder an die verbliebene knöcherne Glenoidpfanne genäht. 

Einschränkungen der Bankart-Operation: 

  • Die Rezidivrate ist im Vergleich zur Latarjet-Operation signifikant höher.
  • Diese Technik eignet sich primär für Patienten ohne ausgeprägte knöcherne Defekte oder chronische Instabilität.

 
Zusammenfassend liefert die Latarjet-Operation aufgrund der knöchernen Stabilisierung verlässlichere Ergebnisse als die Bankart-Operation. Beide Verfahren haben jedoch ihre spezifischen Indikationen und sollten individuell auf den Patienten abgestimmt werden. Neben den geannten Operationen gibt es weitere Stabilisierungsmöglichkeiten, bei welchen z.b. Beckenkammknochen zur Stabilisierung verwendet wird.

Wie behandle ich die habituelle bzw. angeborene Schulterinstabilität? 

Die angeborenen und habituellen Schulterinstabilitäten, die häufig mehrfach und gehäuft auftreten, stellen eine große Herausforderung dar, da sie operativ oft schwer verlässlich zu behandeln sind. Die zentrale Behandlungsstrategie liegt hier in der funktionellen Therapie, um die Koordination zwischen der knöchernen Pfanne (Glenoid) und dem Oberarmkopf (Humerus) zu optimieren. Ziel ist es, das Zusammenspiel zwischen Glenoid und Humerus so zu synchronisieren, dass die Bewegungsabläufe ideal abgestimmt ablaufen. 

Häufig kann ein traumatisches Ereignis zu einer Störung dieses Gleichgewichts führen, was die Wiederherstellung der Balance erschwert. Diese funktionelle Instabilität, die durch eine Dysbalance zwischen Pfanne und Kopf entsteht, sollte primär funktionell behandelt werden. Hierbei spielen physiotherapeutische Maßnahmen eine entscheidende Rolle: 

  • Koordinationstraining zur Verbesserung der Steuerung der Schulterbewegungen.
  • Propriozeptionstraining, um das Körpergefühl und die Wahrnehmung der Schulterstellung zu verbessern.

 
Ein operativer Eingriff, der mechanisch die Stabilität und Funktion verbessern soll, ist in diesen Fällen oft nicht zielführend und daher nicht die Therapie der ersten Wahl. 

Sollte die funktionelle Therapie jedoch keine ausreichende Besserung bewirken und sich eine Hauptinstabilitätsrichtung zeigen, kann eine Stabilisierungsoperation in Erwägung gezogen werden. Dabei ist es von großer Bedeutung, dem Patienten im Vorfeld klar zu machen, dass die Prognose dieser Eingriffe häufig schwierig einzuschätzen ist und die Ergebnisse nicht immer zufriedenstellend ausfallen. 

Mögliche operative Maßnahmen umfassen: 

  • Raffung der Kapsel-Labrum-Strukturen, um die Stabilität zu erhöhen.
  • Knöcherne Vergrößerung der Pfanne (Glenoidaugmentation) bei klar definierter Instabilitätsrichtung.

 
Im Vergleich zu den sehr zuverlässigen Ergebnissen operativer Behandlungen bei traumatischen Schulterinstabilitäten müssen die Ergebnisse bei habituellen Schulterinstabilitäten jedoch als eher unzuverlässig eingestuft werden. Dies sollte im Vorfeld der Operation ausführlich mit dem Patienten besprochen werden, damit realistische Erwartungen an die Behandlung gestellt werden.